Wie jede Familie haben auch Orchideen einen "Stammbaum" bzw. ein "Familienbuch". Dieses wird verbindlich für die ganze Welt bei der Royal Hortical Society (RHS - siehe "Orchideengesellschaften") geführt. Und damit dieses Stammbuch wenigstens die Wissenschaftler in aller Welt verstehen, wird es in Latein geführt. Die vollständigen Namen sind dabei so lang und klangvoll wie die mancher Familien von uraltem Adel.
Die nachfolgende Beschreibung ist nicht sehr tiefgründig, sollte aber dem Anfänger reichen, das System der Benennung zu verstehen. Leider halten sich aus Unwissenheit Massenproduzenten oft nicht an die beschriebenen Regeln, sowohl bei der Groß-/ Kleinschreibung, der Klammersetzung und den einfachen Anführungszeichen. Anzeigen und Prospekte sind hier oft unrühmliche Beispiele.
Endgültige Einigkeit über die Systematik besteht unter den Botanikern nicht, wird wohl auch durch sich weiter entwickelnde Forschungsergebnisse (zunehmend auch DNA - Analysen) immer wieder in Frage gestellt. Im Allgemeinen richtet man sich aber nach der vom Berliner Botaniker R. Schlechter im 19. Jahrhundert aufgestellten Systematik. Diese wurde natürlich in der Zwischenzeit von anderen Botanikern ergänzt und erweitert.
Im nachfolgenden Beispiel gehört die Gattung (Lat. Genus) Catasetum zum
Subtribus Catasetinae, die Art (species) discolor (immer klein geschrieben)
liegt in der Varietät (var.) luteo-alba vor.
Die Pflanze heißt also exakt beschrieben Catasetum discolor var. luteo-alba.
In der Fachliteratur wird der Name der Person, die die Art erstmals verbindlich
beschrieben hat, in Kapitälchen (In meiner Datenbank einfach Großbuchstaben)
und möglichst das Jahr der Erstbeschreibung hinzugefügt. Steht der
Name in Klammern und ist durch einen weiteren ergänzt, ist die Erstbeschreibung
wissenschaftlich überholt und durch die des 2. Autors ersetzt.
Phantasiebeispiel: Catasetum disregard var. ugly (WIEHIESSERNOCH)1859 RECHTHABER
1999
Nun kann jeder Halter einer Pflanze ihr noch einen individuellen Namen (in einfachen
Anführungszeichen) geben, es hiesse dann in unserem Beispiel Catasetum
disregard var. ugly (WIEHIESSERNOCH) 1859 (RECHTHABER 1999 'Funny Leaf'.
Bei ordnungsgemäß registrierten Hybriden ist es mit der Namensgebung nicht einfacher, wie das theoretische Beispiel zeigt:
Pommebienchen Zuckersüss 'Barbara Obstler' ( apfel x Birne )
Was bedeutet das? "Pommebienchen" ist der Name der neuen, gezüchteten
Art, da man ja beliebig viele Äpfel mit Birnen kreuzen kann hat der Züchter
seiner Kreuzung den Zusatz "Zuckersüss" verpasst und die eine
bestimmte Pflanze, die er zur Registrierung angemeldet hat "Barbara Obstler"
getauft. In Klammern wurde dazu notiert das der Vater die Naturform (deshalb
mit einem Kleinbuchstaben beginnend) aus Äpfeln ist und die Mutter die Kreuzung
"Birne" (deshalb groß geschrieben) ist.
Beachten Sie bitte, daß Zuckersüss mit einem Großbuchstaben
beginnt, daran erkennt man sofort, das es sich nicht um eine Naturform handelt.
Welche gültigen Gattungsbezeichnungen es gibt können Sie übrigens der Tabelle: Orchideen - Gattungen, natürliche Arten und Kreuzungen. entnehmen.
So, wenn der Lieferant ihres Pommebienchens alle die obigen Angaben auf dem
Etikett vermerkt hat, wissen Sie schon ziemlich viel über Ihre Neuerwerbung.
(In der Praxis müssen Sie im Massenmarkt schon froh sein, wenn ausser
€ 9,99 noch Pommebienchen dabeisteht:-))
Wenn Sie als neugieriger Mensch wirklich den Stammbaum von Pommebienchen wissen
wollen, dann hätte der Händler auf dem Etikett eigentlich auch noch
vermerken müssen, wer die Eltern von "Birne" (und möglicherweise
die Groß- und Urgroßeltern) waren. Soviel Platz ist weder auf einem
Etikett noch in der Literatur. Ausserdem würden die Namen für den
täglichen Gebrauch unaussprechlich und unhandlich. Genau deshalb gibt es
eine Registrierungsstelle bei der RHS (Royal Hortical Society) in England, bei der jedermann für ein
paar Pfund Euro seine neue Züchtung registrieren lassen kann. In den veröffentlichten
Hybridenlisten kann man dann den Stammbaum bis zu Adam und Eva, wollte sagen
Aclandia bis Zygopetalum, zurückverfolgen.
Übrigens hat der Registrar der RHS das letzte Wort darüber, ob der von Ihnen gewählte Begriff "Pommebienchen" zugelassen werden kann, denn (hätten Sie es anders erwartet?) auch dafür gibt es natürlich streng wissenschaftlich abgeleitete Regeln! Wenn Sie also Ihr neu gezüchtetes Blümchen je in den Hybridenlisten finden wollen, dann sollten Sie besser zustimmen, wenn er vorschlägt es nicht Pommebienchen sondern Pommepoavre zu nennen:-)
Leider scheuen Züchter aus Kostengründen und wegen der damit verbundenen
Bürokratie immer häufiger die Registrierung. Diese Pflanzen tauchen
dann im Handel oder der Literatur mit dem Zusatz n.r. (nicht registriert / not
registrated oder not registered) auf. Unser Pommebienchen würde in dem Fall also Pommebienchen
n.r. 'Barbara Obstler' ( apfel x Birne ) heißen. Mag man aus ihr noch
so hübsche Kinder kreuzen - deren lückenloser Stammbaum ist nie mehr eindeutig feststellbar!
Wie beim Stammbaum von Kaiser Barbarossa gibt es auch in der Orchideenkunde durch ständige Forschung neue Erkenntnisse und damit Änderungen am Stammbaum.
Wenn Sie sich näher für dieses Thema interessieren und evtl. auch eine etwas seriösere, wissenschaftliche Darstellung bevorzugen, die auch für den Laien verständlich geschrieben ist, dann verweise ich auf den Artikel von Dr. Joachim Erfkamp 'Genetische Untersuchungen - ihre Auswirkungen auf die Orchideen - Taxonomie' in 'Die Orchidee', Heft 54(5) 2003. Hier wird ausführlich und verständlich auf die Problematik eingegangen die durch die modernen DNA-Analysen entstehen.